Leseprobe Dragon Games - Herz aus Feuer
1. Kapitel
Erstes Gesetz des Drachenritterkodex: Als Drachenritter auserwählt zu werden, gilt als große Ehre.
Das Brüllen eines Drachen wehte bis zu uns in die offenen Stallungen hinüber und ließ mich erschaudern. Es war immer furchtbar, wenn eines dieser beeindruckenden und kraftvollen Wesen bei den Turnieren in den Arenen verletzt wurde. Hoffentlich hatte es heute nicht Ceallach erwischt, denn ich mochte den imposanten Riesen, der mit seiner markanten Schuppenmusterung dem Geschlecht der Drachen alle Ehre machte.
Neben mir erklang ein Stöhnen, das mich daran erinnerte, dass auch ich mich bald auf dem Kampfplatz wiederfinden würde. Ich blickte zu meinem Herrn, der gerade seinem Drachen einen Eimer Wasser über die eierschalenweißen Schuppen kippte. Die alles verschlingende Hitze, die momentan ganz Ferridum heimsuchte, machte den Menschen genauso zu schaffen wie den Drachen.
Und in diesem Moment beneidete ich den älteren Drachenritter, in dessen Dienst ich stand, noch etwas mehr als sonst. Denn Daireann schlug mit ihrem Schwanz auf den staubigen Boden und sorgte so für einen kleinen Windhauch, der vor allem Sir Henry traf. Er seufzte erleichtert und lehnte sich in seiner hellen Rüstung, die zu den Schuppen von Daireann passte, an einen der massiven Gitterstäbe, die die Boxen der Drachen vom Gang abtrennten. Die kleinen Zahnräder des Verschlusses an der Seite der Brustplatte klackten leise bei der Bewegung. Das erinnerte mich daran, dass ich sie dringend warten musste.
Mein Blick wanderte über das grobmaschige Gitter, durch dessen Lücken ein Mensch locker hindurchpasste. Dieser provisorische Stall war wirklich nichts im Vergleich zu dem Backsteingebäude zu Hause. Nicht mal ein richtiges Dach hatten wir hier. Weit über uns flatterte nur ein dünnes Tuch über den fünfzehn Schritt langen Gitterboxen. Ein fast nicht nennenswerter Schutz gegen die glühende Sonne und die Asche, die ab und zu vom Himmel fiel.
Trotzdem waren das bessere Bedingungen als im letzten Jahr – hatte man mir zumindest gesagt. Wäre nicht jeder Drachenritter des Landes zu diesem Turnier eingeladen worden, wären wir auch dieses Mal nicht dabei, da machte ich mir keine Illusionen. Doch Dimondon wollte sich profilieren und als Hauptstadt von Ferridum Würde, Stärke und Güte zeigen. Dabei wussten wir alle, was das hier war: die größte Machtdemonstration der letzten Jahre. Seht her, wie viele Drachenritter wir haben. In manchen Gassen munkelte man schon vom Krieg gegen Andysien.
»Vic, mein Junge, sei so gut und hol unserer Hübschen einen Happen zu essen, ja?« Sir Henry nickte in Richtung der Gitterbox hinter ihm. Er wischte sich mit einem Taschentuch Ruß und Schweiß von der Stirn und direkt in den Ansatz seiner mittlerweile gräulichen, krausen Haare.
»Natürlich, Sir.« Ich streckte den Rücken gerade durch und atmete die warme Luft ein. Dabei drückte sich der Stoffstreifen, mit dem ich meine Brüste abband, noch enger an meinen Körper. An Tagen wie diesen verfluchte ich den Rat einmal mehr dafür, dass Frauen kein Recht darauf hatten, zum Drachenritter ausgebildet zu werden.
Bevor ich mich jedoch zu sehr mit dieser schreienden Ungerechtigkeit beschäftigen konnte, konzentrierte ich mich auf meine Aufgabe und stapfte los. Ich kam allerdings keine fünf Schritte weit, bis mich ein warmer Atemzug wie ein kräftiger Windstoß im Rücken traf. Einer der weißen Stacheln, die den gewaltigen Schädel von Daireann einrahmten, drückte sich sanft in meine Seite. Der Drache hatte den Kopf über die fünf Meter hohe Gitterabsperrung gestreckt und stupste mich noch mal an.
Ich schmunzelte und wandte mich dem Kopf zu, der größer war als ich selbst. Fest klopfte ich mit der Faust gegen die Panzerplatten zwischen den zwei aufmerksamen Augen, die die Farbe von orange glühender Lava hatten.
»Ich weiß, mein Mädchen. Gleich bin ich wieder da. Ich hole dir ein schönes Schaf und heute Abend nach deinem Kampf kriegst du eine Kuh, ja?«
Daireann schnaubte und die Asche, die auf den gepflasterten Boden gefallen war, wirbelte auf und tanzte in kleinen Windhosen davon.
Noch einmal rieb ich sie kräftig zwischen ihren Augen und drehte mich dann um. Die klobigen schwarzen Lederstiefel der Drachenritter hingen heute schwerer an meinen Füßen als sonst. Das lag an dieser verdammten Hitze. Die Nachmittagssonne brannte mir fast Löcher in die Haut, als ich den Schatten des Tuchdachs verließ und prompt einem Händler vor die Füße lief, der mit einem voll beladenen Holzkarren unterwegs war. Die gelben und orangefarbenen stacheligen Früchte leuchteten allen umherschlendernden Besuchern des Turniers verführerisch entgegen.
»Tropenfrucht, der Herr?« Der Händler zog seinen Zylinder und verbeugte sich so tief vor mir, dass sein Kinn die Rüschen seines Hemds berührte. »Bei dieser Drachenhitze und den rabenschwarzen Haaren muss Euch der Kopf schwirren.«
Ich winkte ab und machte einer Dame im Lederkorsett und ausladendem Kleid Platz. Es war ein kluger Zug des Händlers, sich hier zu positionieren. Zu den Stallungen kamen immer viele Zuschauer, um sich die Drachen näher anzuschauen. Auch wenn sich die meisten dann doch nicht hineinwagten. Zu groß war ihre Angst, von einem Feuerstrahl geröstet zu werden.
Bei dem Gedanken lächelte ich leicht. Obwohl schon jetzt der Schweiß das weiße Hemd an meine Arme klebte, blieb ich einen Moment stehen und musterte den Ort, an dem die Drachenritter tatsächlich mit dem Feuer der Drachen in Berührung kommen konnten.
Die Arena vor mir erhob sich hoch in den Himmel, wie ein Zylinder für den Berg, auf dem sie stand. Ein Zeppelin umkreiste gerade langsam das große Gebilde aus Metall und Stahl. Von hier aus erkannte man eines der Tore, durch die die Drachen die Arena betraten. Das Klackern der Zahnräder, die den mannshohen Riegel davor zurückzogen, hallte als dumpfes Geräusch zu mir hinüber. Die Dampfmaschinen, die diese Zahnräder antrieben, waren wie kleine Nester außen an die Arena geklebt und bliesen munter weißen und grauen Rauch in den blauen Himmel.
Doch das alles täuschte nicht darüber hinweg, was im Inneren des Stahlkonstrukts vor sich ging. Ein erneutes Brüllen erklang und ließ mich eilig den gepflasterten Platz verlassen, auf dem einer der provisorischen Ställe aufgebaut war. Insgesamt gab es vier davon, alle symmetrisch um die Arena angeordnet. Uns hatte man natürlich den schlechtesten in der Nähe der Händler zugewiesen, wo der Geruch nach Brathähnchen und Lammkeule die Drachen verrückt machte und das Gerede der Turniergäste mich abends wachhielt.
Kopfschüttelnd schritt ich durch die bunten Zelte der Kaufleute in Richtung des Schafgeheges etwas weiter hangabwärts. Dahinter erhoben sich die Ziegelkamine der Hauptstadt, die noch mehr Rauch in den Himmel spuckten. Auf den Zeltdächern in Burgunderrot, Schwarz, Orange und Gelb hatte sich schon Asche gesammelt, die manchmal vom Himmel regnete.
Ich zwängte mich durch eine Gruppe Kinder hindurch, die sich zwischen zwei Ständen um einen Ball aus Zahnrädern versammelt hatten. Dahinter verkaufte ein Händler mechanische Drachen zum Aufziehen. Manche von ihnen glitten sogar mit ihren ledernen Schwingen ein Stück durch die Luft.
Als ich ein kleines Mädchen in den Kohleminen gewesen war, hätte ich von solch einem Spielzeug nur träumen können. Heute könnte es mich nicht weniger interessieren. Denn eines Tages würde ein echter Drache mir gehören, kein Spielzeug aus Metall. Und ich wäre ein Drachenritter. Hoffentlich.
»Vic! He, Vic, warte!«, drang eine tiefe Stimme von hinten zu mir.
Ich drehte mich um und krempelte die weißen Ärmel meines Baumwollhemds hoch, die mittlerweile eher rußig grau waren. Schon von Weitem erkannte ich, wer mich da gerufen hatte. Aldwyn, ebenfalls Knappe, breit wie ein Schrank und ein strahlendes Lächeln aufgesetzt.
»He, Kumpel.« Er boxte mich in die Seite, sobald er mich erreicht hatte.
Krampfhaft lächelnd versuchte ich, nicht das Gesicht zu verziehen. Aldwyn war stärker und zu allem Überfluss einen Kopf größer als ich. Eine stetige Erinnerung an all das, was mich aus der Reihe der Knappen herausstechen ließ. Trotzdem hatte ich den großen, gutmütigen Kerl sofort ins Herz geschlossen, als er mich vor vier Wintern auf dem Turnier zum Feuerfest in Ironhold vor ein paar älteren Knappen verteidigt hatte.
»Auch zu den Schafen?«, fragte er.
Ich nickte und wir schritten Seite an Seite weiter. Sofort wandten sich uns die Köpfe der Marktbesucher zu. Aldwyn erkannte man auf den ersten Blick als Knappen eines Drachenritters. Auf seinem grünen Hemd prangte das silberne Wappen von Firebreath, eine silberne Flamme in einer Fackel. Und natürlich trug er ebenfalls den unverkennbaren Säbel an seiner Seite. Noch kein Drachenzahn, aber ein eindeutiges Symbol seines Stands.
Ich vermied die offizielle Kleidung so oft es ging. Zu eng geschnitten waren die Hemden. Und damit zu groß das Risiko, doch eines Tages entlarvt zu werden. Denn dann würde mein Traum schneller zu Asche zerfallen, als ein Drache Heu in Brand steckte. Eine Frau als Drachenritter. Ich würde im Kerker landen. Oder schlimmer.
»Ich hab dich nach dem letzten Turnier in der Bar bei den Sullivans in Steelforge vermisst. Das andere Barmädchen wäre sicher was für dich gewesen. War auch nicht viel größer als du. Maximal zwei Fingerbreit.« Grinsend schaute Aldwyn auf mich herab, während seine braunen Augen belustigt funkelten. Die Narbe, die er sich durch einen Schwanzhieb von Ceallach zugezogen hatte, tat seinem hübschen Gesicht keinen Abbruch. Die Barmädchen störte es offensichtlich ebenfalls nicht.
»Klappe, Aldwyn.«
»Ach, dein Wachstumsschub kommt noch. Genau wie der richtige Stimmbruch eines Tages. Außerdem hätte ich sie schon von dir überzeugt.«
Ich rollte mit den Augen. Er meinte es gut. Schließlich konnte er ja nicht wissen, dass andere Gründe seinen Plänen für mich im Wege standen. »Komm, jetzt darfst du erst mal ein Schaf von mir überzeugen.«
Wir schlenderten an einem Händler vorbei, der Wein verkaufte. Obwohl dieser uns in weißem Rüschenhemd mit Samtfrack zwei Becher entgegenstreckte, ignorierten wir ihn und gingen über das vertrocknete Gras weiter. Der Wind wehte bereits das Blöken der Schafe zu uns hinüber, das fast unter dem donnernden Applaus aus der Arena unterging. Der nächste Kampf.
»Wisst ihr, gegen wen ihr in der Vorrunde antretet?«, fragte Aldwyn.
»War vorhin noch nicht ausgelost. Ich schau gleich an der Tafel. Wart ihr jetzt schon dran?«
Aldwyn schüttelte den Kopf. »Sollten wir eigentlich. Aber Sir Godric … du hast es sicher gehört.«
Ich nickte leicht. Eine Tragödie. Zerquetscht von einem anderen Drachen beim Training. Wie wahrscheinlich war das? Ich runzelte die Stirn. »Ist klar, was mit Oswin passiert?«
Aldwyn schüttelte die kinnlangen braunen Haare. »Da ja kein anderer Drachenritter den Tod verursacht hat, wird das noch geklärt. Er ist so lange Knappe, vielleicht kann er sich einfach um die Anwartschaft für Myrddin bewerben.«
Meine Gedanken wanderten zu dem zarten Drachen mit den feinen blauen Schuppen, die im Sonnenlicht schimmerten wie das Meer. Ein wunderschönes Tier. Wenn ich bereits so weit wäre, würde ich meinen Zylinder ebenfalls sofort in den Ring werfen. Doch ich würde die Altersgrenze erst mit einundzwanzig erreichen – in zwei Jahren. Dann musste ich hoffen, dass ein anderer Ritter sich zurückzog, damit überhaupt ein Drache zur Verfügung stand. Am allerliebsten wäre mir mein Mädchen. Ich hoffte für Oswin, dass er sich bei allen Prüfungen des Rats behaupten konnte und dieser in seinem Sinne entscheiden würde. Er hatte Sir Godric schon so lange gedient, sicherlich musste selbst der Eiserne Rat einsehen, dass er Myrddin am besten unter Kontrolle halten konnte – und natürlich dem Eisernen Rat treu ergeben war.
Vor uns kam das Gehege in Sichtweite. Einige Schaulustige hatten sich bereits darum versammelt. Die meisten waren Bürger: die Damen in hochwertigen Kleidern mit Korsetts aus Leder und ausladenden Röcken aus Samt, die Männer im dunklen Frack mit Zylinder. Und so, wie sie wirkten, waren sie sicher nicht da, um die Schafe zu bestaunen. Mehr die Knappen. Die zukünftige Elite. Es war sicherlich lustig, zukünftige Drachenritter Schafen in einem Gehege hinterherrennen zu sehen.
Der eingezäunte Bereich bestand aus Holzpfählen, die in den bloßen Boden gerammt worden waren, nur von einem Netz umspannt. Aldwyn stieg einfach darüber, doch ich hob es an und schlüpfte darunter hindurch. Die Schafe wichen uns blökend aus, als ahnten sie, welches Schicksal sie erwartete.
Mein Blick glitt über die Herde. Nicht zu viel Wolle, das mochte Daireann nicht und ich hatte keine Zeit, das Schaf zu scheren. Oder später den ausgekotzten Ball aus Fell zu beseitigen.
Ein größeres, etwas fettes Tier zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Es würde schwer zu schleppen sein, war es aber definitiv wert.
Lautes Gegröle und Gelächter unterbrach meine Überlegungen und ich blickte auf. Einige andere Knappen scherzten mit ein paar jungen Damen in schwarzen Kleidern, die zum Schutz gegen die Sonne Spitzenschirme aufgespannt hatten. So etwas reizte mich nicht, doch an Aldwyns sehnsüchtigem Blick las ich ab, dass er sich gern dazugesellen würde.
»Du musst nicht mit mir zurückgehen«, sagte ich.
»Ach was. Weiber gibt es heute Abend genug, so wichtig sind die auch nicht.«
Ich griff mir das blökende Schaf und warf es mir über die Schultern. Es strampelte, wehrte sich. Aber meine Muskeln waren gestählt vom täglichen Training mit Drachen und dem Säbel. Meine schwieligen Handflächen schlossen sich wie Eisenfesseln um die Beine und nach ein paar verzweifelten Versuchen, dem Griff zu entkommen, gab das Tier auf. Noch mehr Schweiß lief mir die Schläfen hinunter, die Wärme des Schafs war zu viel.
Plötzlich verstummte das Gelächter der anderen Knappen und ich erkannte auch schnell, warum. Ein muskelbepackter junger Mann schlenderte auf die Schafe zu. Breiter als Aldwyn, größer als Aldwyn. Größer und breiter als die meisten Knappen, die ich kannte. In dem schwarzen Hemd musste ihm unendlich heiß sein.
»Wer ist das?«, murmelte ich Aldwyn zu, der sich mittlerweile wahllos ein Schaf gegriffen und über die Schultern gelegt hatte.
»Lance. Knappe von Sir James.«
»Sir James? Dem Sir James?« Automatisch ging ich zur anderen Seite des Geheges, um diesem Lance nicht über den Weg zu laufen. Er bedeutete Ärger. Viel Ärger. Er war zu braun gebrannt, zu muskulös, die Haare zu kurz. Solche Männer – solche Knappen – zogen die Aufmerksamkeit aller auf sich. Und Aufmerksamkeit war das Letzte, was ich brauchte.
Aldwyn war mir gefolgt und trat nun auf das Netz, das sich nach unten bog. »Ganz genau der. Erbe des größten Kohleimperiums, das Ferridum jemals gesehen hat. Verstehe nicht, warum er unbedingt Drachenritter sein will. Wahrscheinlich nur wegen der Ladys.« Er zwinkerte mir zu und machte mit der Zunge eine obszöne Bewegung, während ich über das Netz stieg.
Trotzdem hatte Aldwyn wahrscheinlich recht. Sein Ruf eilte Sir James weit voraus. Die jungen Frauen warfen sich ihm scharenweise zu Füßen. Dabei war doch offensichtlich, dass er kein Mitspracherecht bei seiner Brautwahl haben würde. Sein Vater würde ihn zwingen, eine wohlhabende Tochter eines Fabrikbesitzers zu heiraten, nicht irgendein Mädchen, das ihm schöne Augen machte.
»Du. Kleiner.«
Lance’ Stimme schnitt mir durch Mark und Bein. Langsam drehte ich mich mit dem Schaf auf den Schultern um und beobachtete, wie der große Knappe das Netz zwischen uns überwand.
»Ich heiße Victor.« Mein Griff um die Beine des Tiers verstärkte sich. Es zappelte unruhig auf meinen Schultern, als spürte es die sich nähernde Bedrohung.
Lance grinste und seine schmalen Lippen entblößten eine große Lücke zwischen seinen oberen Schneidezähnen. »Victor. Der Knappe von Sir Henry. Wir werden uns wohl nie in der Arena begegnen. Dein alter Mann übersteht nicht mal die Vorrunde.« Der Knappe knackte mit den Knöcheln seiner Hand.
»Na dann, auf Nimmerwiedersehen.« Ich wandte mich ab, doch mit einem großen Schritt stellte er sich mir in den Weg. Er verschränkte die Arme vor dem muskulösen Oberkörper und gewährte mir einen guten Blick auf das Wappen, das auf Brusthöhe eingestickt war. Ein Diamant. Natürlich.
»Das Schaf«, sagte Lance träge. »Ich will es für Onyx. Gib es mir.«
Ich verengte die Augen und hob den Kopf, damit ich ihm ins Gesicht starren konnte. »Das Schaf ist meins. Geh und hol dir ein neues. Ich weiß nicht, wie ihr das hier in Dimondon handhabt, aber bei jedem Drachenturnier des Landes gehört dem das Vieh, der es zuerst holt.«
Lance beugte sich leicht nach vorne und legte den Kopf schief, sein Blick schien mich zu durchbohren. Um uns herum versammelten sich schon die ersten Schaulustigen. Aus dem Augenwinkel sah ich zwei junge Damen, die hinter vorgehaltener Hand tuschelten und mit ihren Spitzenhandschuhen auf uns zeigten.
Lance ging unterdessen einen weiteren Schritt auf mich zu und ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn weiter im Auge behalten zu können. Auf meiner Schulter blökte das Schaf anklagend.
»Wir handhaben es hier so, dass du mir das Schaf gibst, wenn ich dir das sage.«
»Nein.« Meine Stimme war leise, aber ruhig.
»Ihr Erdwürmer aus den äußeren Provinzen. Euch muss man noch Manieren beibringen.« Lance hob so schnell das Knie, dass ich die Beine nicht zusammenpressen konnte.
Glücklicherweise reagierte ich aus Gewohnheit so, wie es alle Männer von einem erwarteten, wenn man im Schritt getroffen wurde. Ich stöhnte und verzog das Gesicht – auch wenn der kurze unangenehme Schmerz eigentlich nichts im Vergleich zu den Verletzungen war, die ich regelmäßig im Training abbekam.
Dann jedoch versagte anscheinend mein schauspielerisches Talent, denn Lance zog überrascht die Augenbrauen hoch. Wahrscheinlich hätte ich noch stärker reagieren müssen. Um uns herum schwoll das Tuscheln an. Jetzt hieß es improvisieren.
Ich legte den Kopf schief, atmete tief ein und seufzte. »Weißt du, was sie in Ironhold über mich sagen, Lancy?« Meine Stimme stellte ich so tief, wie es mir möglich war. »Eier aus Stahl. Hast du die auch?«
Ich revanchierte mich so schnell mit einem Tritt zwischen seine Beine, dass sich Lance’ graue Augen erschrocken weiteten. Im nächsten Moment schrie er, die Hände auf den Schritt gepresst, und sank vor mir auf die Knie. Selbst so war er fast genauso groß wie ich.
Ich nickte selbstzufrieden und schritt durch eine sich teilende Zuschauermenge in Richtung der Stallungen davon. Eine junge Frau mit einer kompliziert aussehenden Hochsteckfrisur, in die kleine Zahnräder eingearbeitet waren, warf ihr Spitzentaschentuch vor mich. Ich machte einen Schritt darüber hinweg und gab mir Mühe, nicht mit den Augen zu rollen. Das würde ich ihr garantiert nicht aufheben.
Hinter mir keuchte Lance lautstark. »Wir sehen uns in der Arena, du Pisser. Auf dem Feld oder daneben. Dann werde ich viel Spaß mit dir haben, bis du den Namen deiner Mutter schreist.«
»Träum weiter, Lancy.«
Aldwyn trabte neben mich, er trug sein Schaf mittlerweile unter dem Arm. »Vic, so sehr ich dich liebe, Mann, das war nicht die beste Entscheidung.« Er warf einen Blick zurück auf Lance, wobei er es sich nicht nehmen ließ, jemandem zuzuzwinkern. Wahrscheinlich einer der Damen.
Ich zuckte mit den Schultern, das Gewicht des Schafs wog schwer. »Kerlen wie ihm darf man nicht die Überhand lassen. Dann lernt er, dass es in Ordnung ist, andere wie Dreck zu behandeln.«
»Ich weiß, du warst noch nie in Dimondon, aber James de Burgh, beziehungsweise seine Familie, hat hier den größten Einfluss. Sein Vater sitzt im Rat und er wird es eines Tages auch tun, wenn es ihm zu langweilig wird, auf einem Drachen durch die Luft zu fliegen. Und damit steht Lance direkt unter dem Schutz der de Burghs. Verstehst du? Du musst nicht allen immer beweisen, dass du mithalten kannst.«
Ich schnaubte und zog das Schaf näher an meinen Nacken. Dann blieben wir stehen und warteten, bis auf der gepflasterten Straße vor uns eine dieser neuartigen motorisierten Kutschen vorbeifuhr. Statt Pferden trieb eine kleine Dampfmaschine die vier Eisenräder an. Ein Junge mit blauer Schiebermütze schaufelte in den kleinen Ofen hinten kontinuierlich Kohle nach, während ein Herr in feiner Kleidung vorne das Gefährt lenkte. Kurz musterte ich die Seite des Gefährts. Ein Teil war durch eine Glasscheibe ersetzt worden und erlaubte einen Blick auf die Zahnräder der Maschine, die perfekt ineinandergriffen.
»Wenn ich mal Drachenritter bin, kaufe ich mir auch so eins«, sagte Aldwyn mit einem Leuchten in den Augen.
»Dann hast du einen Drachen, das ist deutlich besser.«
»Vielleicht.«
Wir setzten uns wieder in Bewegung und stiegen weiter den Berg hinauf. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn und das Hemd klebte nass an meinem Rücken. Das waren die Momente, in denen ich es hasste, dass Daireann ein weißer Drache war und ich deswegen meiner Pflicht entsprechend weiße Hemden tragen musste. Bei Nässe oder zu viel Schweiß wurden die Dinger zu durchsichtig.
Schließlich näherten wir uns dem großen Gerüst der Stallungen. Ich hörte schon das Klirren und Schaben der großen Tore, die an den Eingängen der Gitterboxen angebracht waren. Das Ganze war mehr eine Beruhigung für die Zuschauer als eine wahre Sicherheitsmaßnahme. Jedem, der sich mit Drachen auskannte, war klar, dass selbst der kleinste ein solches Gebilde mühelos mit einem Feuerstrahl einschmelzen konnte. Das Einzige, was tatsächlich zwischen einem tödlichen Feuersturm und der Vernichtung der ganzen Stadt stand, war der Drachenritter. Aber sicher schliefen die Bewohner von Dimondon nachts ruhiger, wenn unzählige der Drachen angeblich weggesperrt in Gitterboxen lagen.
»Sehen wir uns heute Abend beim Ball?« Aldwyn ging einen Schritt vor mich und drehte sich um.
Ich schnaubte. »Als ob.«
»Wenn du ein Drachenritter werden willst, wirst du früher oder später auch deine diplomatischen Fähigkeiten trainieren müssen, Vic. Und die Bälle sind perfekt dafür. Es wird getanzt, es gibt Alkohol und Essen umsonst – viele hübsche Frauen. Was kann man mehr vom Leben wollen?«
Ich schüttelte den Kopf und winkte ab.
»Vic, ich weiß, bei euch da draußen läuft es anders. Dir steckt der eine mal hier was zu, der andere da. Aber das ist Dimondon. Ihr müsst gute Leistungen erbringen, sonst kriegst du kein Geld von den Industriellen.«
»Ich brauche das Geld nicht. Ich habe Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf.« Sir Henry hingegen benötigte das Preisgeld schon allein, um Daireann unterhalten zu können, doch dieses Ziel war sowieso unrealistisch. Wir würden es wie immer bei einem der kleineren Turniere versuchen müssen, bei denen die Konkurrenz überschaubarer und nicht so stark war.
Aldwyn schüttelte den Kopf. »Du musst weiterdenken. Je mehr Geld dir die Industriellen zustecken, desto größer dein Investitionspotenzial. Und desto eher werden sie wiederum den Rat beeinflussen, damit du tatsächlich eines Tages ein Drachenritter werden kannst.«
Ich kräuselte die Stirn. Von dieser Warte aus hatte ich das Ganze noch nie betrachtet. Es gab viele Knappen, die den Industriellen regelrecht die Stiefel leckten, damit diese ihnen die ein oder andere Münze zusteckten. Oder einen Diamanten. Ich war mir immer zu schade dafür gewesen. Außerdem war ich überzeugt, dass nur die Besten Drachenritter wurden und ich gehörte zu den Besten – ganz egal, wie gut oder schlecht der Ritter war, dem ich diente. Dass hinter der Auswahl der Ritter jedoch so viel Politik steckte, hatte ich nicht vermutet.
Die vertrauten, ruhigen Atemzüge von Daireann zogen mich aus den unbequemen Gedanken. Sie streckte den Kopf schon über das große Gitter und schnupperte an dem Schaf. Ich ließ die Beine des Tieres gerade noch rechtzeitig los, bevor es mit einem jämmerlichen Blöken zwischen den handgroßen Reißzähnen verschwand. Etwas Blut tropfte auf mich herunter und besudelte das weiße Hemd, während Aldwyn mich weiterhin fixierte.
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich.
Er nickte, klopfte mir auf die Schulter und ging weiter den Gang hinunter, bevor Daireann auch sein Schaf verspeisen konnte. Einige der anderen Drachen, die in den Boxen standen, musterten das Tier ebenfalls, hielten sich jedoch zurück. Ein paar von ihnen kannte ich von anderen Turnieren, doch Ceallachs grüne Schuppen stachen mit den ungewöhnlichen braunen Sprenkeln etwas heraus.
Bei seinem Anblick musste ich unwillkürlich lächeln und musterte dann Venia und Peredur, seine direkten Nachbarn. Die Drachendame mit den grau-silbrigen Schuppen und dem dezenten lila Schimmer bewegte sich leicht unruhig in der engen Box, während Peredur auf dem Boden lag, die petrolfarbenen Schuppen an seinem Bauch vom Staub bedeckt. Da ihre Knappen wie viele andere auch vor den Gittern auf Lederpritschen dösten, warteten sie wohl noch auf ihren Kampf.
Etwas weiter vorne holte Sir Rodderick gerade Gráda aus dem Stall. Der große gelbe Drache folgte ihm und wie von selbst glitt mein Blick zu dem Säbel, der an der Seite des Ritters hing. Das gleiche Gelb wie die Schuppen des Drachen, doch es schien zu pulsieren, zu leben. Magie.
Das erste Mal, als ich den weißen, leuchtenden Drachenzahn mit den feinen glühenden Adern an Sir Henrys Seite gesehen hatte, war ich verzaubert gewesen. Als dann noch kurz darauf Daireann mit den gleichfarbigen Schuppen neben ihm zum Vorschein gekommen war, ihre Augen das gleiche Lavaorange wie das in der Waffe, hatte ich gewusst, was mein Ziel im Leben sein würde. Ich wollte diesen Schmucksäbel an meiner Seite tragen, obwohl mir noch immer unbegreiflich war, wie so ein einfacher Gegenstand ein so großes Tier kontrollieren konnte. Eigentlich war es mir auch egal, wie genau das funktionierte. Ich wollte nur, dass dieses gigantische Wesen mir gehorchte. Ich wollte, dass es mich so vertrauensvoll anstupste, wie Daireann es damals mit Sir Henry auf dem kleinen Marktplatz in Woodcester getan hatte.
Und es war der größte Glücksfall meines Lebens gewesen, dass er ausgerechnet unser kleines Dorf ausgesucht hatte, um sich einen Knappen zu wählen. Sir Henry hatte selbst keine Kinder und einer Mienenarbeiterfamilie etwas Gutes tun wollen.
Apropos … mein Blick glitt über die wenigen anderen Ritter in den Stallungen. Wo war Sir Henry?
Doch da kündigte ihn schon das vertraute Keuchen an. Seine Pfeife hing in seinem Mundwinkel und seine Wangen waren gerötet. »Junge, es gibt schlechte Nachrichten. Ich war bei der Tafel. Als ersten Gegner in der Vorrunde haben wir Sir James mit Naill oder Onyx, wie dieses Biest auch heißt.«