top of page

Szene aus Alexejs Sicht

Diese Szene spielt vor den Geschehnissen von Cupids Fluch während der dunkelblauen Nacht der Sklavenrebellion.

Der eiserne Geruch von Blut lag noch schwer auf meiner Zunge, meine Knöchel blutig vom Brechen der Nase von Pjotr. Trotzdem hatte er nicht gewusst – oder verraten – was ich wissen wollte. Ich zog an der Zigarette und der graue Rauch kringelte sich in den hellen Nachthimmel, als ich ausatmete. Meine Lederschuhe schnalzten auf dem Asphalt, während ich weiter auf das Tor des Anwesens der Familie Woronin zuhielt.

Wenn sie hier nicht ist … Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich brauchte jegliche Willenskraft, damit meine Hand nicht zitterte. Vor mir ragten die drei Türme des Anwesens wie Dolche in Höhe. Meine letzte Hoffnung.
Nun, die vorletzte.

Aber ich würde nicht so viel Glück haben, dass Iwanowa sich heute bei den weitreichenden Protesten rausgehalten hatte. Dafür war sie zu dickköpfig. Doch unter all den anderen blutverschmierten Gesichtern bei keinem der anderen Sammelstellen hatte ich sie entdeckt.

Mein Handy vibrierte in meiner Tasche und ich klemmte mir die Zigarette in den Mundwinkel.

»Ja?« Ich stieß das schmiedeeiserne Tor auf, das leicht quietschte.

»Alexej, komm zurück. Sofort.« Die Stimme meines Vaters klang selbst für seine Verhältnisse angespannt.

»Ich habe zu tun.« Gerade war ich im Begriff, aufzulegen, da sagte er:

»Sie ist hier.«

Die Zigarette fiel aus meinem Mund auf die geteerte Einfahrt und mir wurde eiskalt.

Nein. Nein, nein, nein. Von allen Sammelstellen, nicht bei uns.

»Wo bist du? Wo ist sie?« Meine Stimme bebte.

»Ich bin im roten Salon. Deine kleine Sklavin habe ich noch gerade aus der Exekutionsreihe rausgezogen, bevor ihr hübscher Kopf in den Springbrunnen fallen konnte.«

Ich stürzte in den nächsten Schatten eines Rosenbuschs und stolperte auf den Parkettboden des roten Salons. Mein Vater stand an dem hohen, bodentiefen Fenster, noch immer das Handy am Ohr. »Alexej?«

»Wo ist sie?« Schweiß stand mir auf der Stirn, obwohl es nicht so warm ist, mein Herz raste.

Die Miene meines Vaters wurde regungslos, als er sich zu mir umdrehte. »Im Keller. Ich habe den Zaren überreden können, sie nicht auch töten zu lassen.«

Ich stürmte auf ihn zu, eine Enge in meiner Brust, die mich beinahe zum Implodieren brachte. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. »Im Keller? Die Kikimora wird sie umbringen!«

»Vielleicht. Aber nicht so schnell. Wir haben noch Zeit.«

Ich wirbelte herum zur Tür. »Ich hole sie da raus.«

Ein eiserner Griff schloss sich um mein Handgelenk und ein scharfer Schmerz schoss mir in die Schulter, als mein Vater mich herumriss. Dass er keine Magie dafür verwandt hatte, sagte alles darüber aus, wie aufgewühlt er war.

»Du wirst nichts dergleichen tun. Er wird dich töten, wenn du seinem Befehl widersetzt. Und dann sterbt ihr beide.«

»Ich werde sie dort nicht dieser Folter aussetzen!«

Mein Vater packte mich so fest an den Schultern, wie er es noch nie getan hatte. »Du. Wirst. Nichts. Tun.« Jedes Wort punktiert wie ein Nadelstich. Ein Nadelstich mit einem Steakmesser. Er glättet seinen verzerrten Gesichtsausdruck, ließ mich los und zog die Schulterblätter zurück. »Ich werde das regeln. Du wirst heute nicht sterben, mein Sohn.«

Ich schüttelte den Kopf, Tränen brannten in meinen Augen und die Panik drohte mich zu zerfressen. »Darum geht es nicht!« Meine Stimme hallte von der hohen, bemalten Decke zurück. Noch immer rast der Puls in meinen Ohren. Ich stürzte durch den Schatten einer hüfthohen Vase und kam stolpernd zum Stehen. Bevor mein Fuß den Parkettboden des Sonnensaals berührte, wurde jegliche Luft aus meinen Lungen gepresst. Meine Arme klebten fest an meinem Körper und ich war nicht mal mehr im Stande, meine Finger zu bewegen.

Der Nachtblaue saß auf dem thronartigen Stuhl aus dunklem Eichenholz, in jedes Ende der Armlehnen ein Drachenschädel geschnitzt. »Alexej. Welch überraschender Besuch.« Er wedelte in Richtung Dmitri, der neben ihm stand wie ein Bluthund, und ich fiel den letzten Meter auf den Boden und japste nach Luft.

»Kündige dich doch das nächste Mal an. Sonst wirst du so einen Auftritt das nächste Mal nicht überleben.«

Ich rappelte mich auf, eine Gänsehaut am ganzen Körper. Und obwohl Angst jede meiner Bewegung einfror und die Haare auf meinen Armen sich aufstellten, hätte ich ihn am liebsten hier und jetzt erwürgt. Mit meinen eigenen Händen das Leben aus ihm gepresst, bis seine dunkelblaue Haut zu funkeln aufhörte. Ich schluckte schwer und verdrängte diesen Gedanken ganz schnell, bevor ihn jemand entdeckte. Noch immer brannte die Panik in meinem Körper, zerfrass mein Herz und meine Seele. Iwanowa. Irina. Allein der Gedanke, an sie ... ich schluchzte und biss mir sofort auf die Zunge.

Kontrolle. Einatmen, ausatmen.

Ich hob den Kopf und ballte nur die Hand zur Faust, um meine Spannung loszuwerden. Du kannst das besser. Du musst. Für sie.

Ich zwang mich zu einem kalten Lächeln und räusperte mich. Mein rechter Augenwinkel zuckte. »Anscheinend bin ich nicht der einzige Überraschungsbesuch.«

»Ach ja, deine kleine Schlampe. Dein Vater hat etwas erwähnt. Sie ist im Keller und ihr wird eine Lektion erteilt.«

Ich knirschte so fest mit den Zähnen, dass ich kurz Sorge hatte, mein Kiefergelenk würde brechen. »Das ist gegen unsere Vereinbarung.« Meine Stimme zitterte, aber nur leicht. Ich reckte das Kinn nach oben und lehnte mich gelassen an eine der Säulen neben den Fenstern.

»Ach, ist es das?« Der Nachtblaue betrachtete seine Fingernägel. Selbst die Haut darunter war mit Sternenstaub tätowiert worden. »Noch lebt sie, oder?«

»Aber nicht mehr lange, nehme ich an.« Mein Herz wurde zusammengedrückt von so viel Angst, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Und gleichzeitig wollte ich ihm am liebsten die Augen ausreißen, auf den Boden schmeißen und darauf herumtrampeln. Eines Tages. Eines Tage würde er zahlen. Und ich würde ihm mit Freude das letzte bisschen Magie aus dem Körper ziehen und seinem Körper beim Erschlaffen zuschauen.

Gedankenkontrolle. Kiste auf, Gedanke rein, Kiste zu. Jeder im Raum könnte vielleicht heimlich mitlesen. Ich räusperte mich. »Mir wäre es lieber, sie wäre draußen?«

Der Nachtblaue legte den Kopf schief. »Was bist du bereit, dafür zu zahlen?«

»Du hast meine Loyalität, reicht das nicht?«, zischte ich und stieß mich von der marmornen Säule ab. Jede Faser meines Körpers war zum Zerreißen gespannt.

»Habe ich die?« Der Nachtblaue grinste hässlich und stand gemächlich auf. Jeder seiner Schritte hallte unnatürlich laut in dem hohen Saal wider. Über uns, hinter der verglasten Decke, funkelten schwach die ersten Sterne.

Ich presste kurz die Arme zusammen.

»Hm ... Ich hätte gerne einen weiteren Beweis, mein Lieber.« Er kam näher und jeglicher Instinkt in meinem Inneren schrie mich an, zu fliehen. Doch ich blieb. Für sie. Für uns.

»Und das wäre?« Ich klang beinahe gelangweilt.

Der Nachtblaue projizierte die aktuelle Uhrzeit über seine Handfläche und die glänzenden Zahlen verpufften sofort wieder. »Dein Stück Dreck ist gerade mal fünf Minuten dort drin. Sie wird es etwas länger aushalten.« Er blieb kurz vor mir stehen und die unnatürliche Kälte, die von ihm ausging, brachte mein Herz zum Stolpern.

»Mal sehen, wie viel du aushältst, bis ich dir gestatte, sie da rauszuholen. Werde besser nicht ohnmächtig, mein lieber Alexej. Sonst kommst du gar nicht mehr dazu, sie zu retten.« Er legte einen Zeigefinger auf meine Stirn und plötzlich stand jeder Nerv meines Körpers in Flammen, als unendlicher Schmerz sie in Brand setzte. Doch wenn der Zar mich foltern musste, damit Irina da rauskam, würde ich es mit Freude zulassen.

bottom of page